Es schien nur eine unter mehreren verstörenden Meldungen dieses Sommers: Für die weitere digitale Erschließung Deutschlands sollte ein dreistelliger Millionenbeitrag freigegeben werden, der schrumpfte dann aber urplötzlich auf gerade mal ein Prozent des ursprünglich Kommunizierten, und am Ende kratzte das Innenministerium dann doch 300 Mio. Euro zusammen.
All das scheint bestens in das Bild von einer Ampel-Koalition an der Spitze der Bundesrepublik zu passen, deren Reprädentant*innen untereinander im Dauerclinch liegen und deshalb nichts anschieben oder, wenn denn doch einmal etwas Konstruktives geschieht, bestenfalls völlig unkoordiniert agieren. Das wäre aber deutlich zu kurz gegriffen.
Denn es geht nicht um das Strohfeuer einer vermeintlichen Chaos-Truppe(, die eh schon in die zweite Halbzeit geht). Wirklich fatal ist die Botschaft hinter den Querelen um die Finanzierung der Digitalisierung: Diese hat offenbar keine Priorität. Ansonsten hätte es ja wohl ein klares Bekenntnis dazu in Form einer zügigen und damit wohlwollend anmutenden Finanzierung gegeben.
So ist einmal mehr der Eindruck entstanden, bei Digitalisierung handle es sich um ein lästiges Übel, das eben mitfinanziert werden muss, weswegen unter den Vetantwortlichen auch niemand so recht Freude daran hat.
Noch gehässiger ließe sich die Sache so deuten: Die Verantwortlichen scheinen per se von einer technischen Überlegenheit Deutschlands auszugehen, wo Digitalisierung sozusagen ein Selbstläufer ist.
Beides geht an der Wirklichkeit vorbei. Denn weder funktioniert unsere Welt rein analog noch hat Deutschland in ihr ein Erbrecht auf die technologische Spitzenposition. Vielmehr gehört Deutschland nicht nur in der Europäischen Union zu den digitalen Schlafmützen.
Das betrifft die Schaffnung einer zeitgemäßen Infrastruktur wie deren Fortschreibung. Ein Blick nach Mittelosteuropa zeigt, wie wichtig beides ist. Estland etwa hat früh auf Digitalisierung und die zugehörige Infrastruktur laufend modernisiert und sich so zum Liebling der Investor*innen in der Region gemausert. Die Slowakei wiederum, vor 10 bis 15 Jahren gleichfalls digitales Musterland, hat die Dinge zuletzt schleifen lassen und wird inzwischen von der Europäischen Kommission kaum besser bewertet als der digitale Hinterwäldler Deutschland.
Bedauerlicherweise begreifen viele Deutsche Digitalisierung immer noch allzu gern als rein technische Angelegenheit, um alsbald in Überlegungen zu verfallen, die fast ausschließlich Gefährdungspotenziale von, sehr allgemein gesprochen, Technik betreffen. Derlei Debatten gleichen in Ermangelung digitaler Infrastruktur dem fragwürdigen Versuch, das Schwimmen allein auf dem Trockenen zu erlernen.
Und selbst wenn eine zeitgemäße Infrastruktur vorhanden wäre: Es ist nicht damit getan, diese zu schaffen, vielmehr müssen die Menschen auch mit ihr umgehen können. Das wiederum wäre beispielsweise eine Frage der Medienerziehung, wo Chancen und Risiken der virtuellen Welt gleichermaßen vermittelt gehören.
Vergleiche hinken, aber im Autoland Deutschland leuchtet sicher ein: Es hat seinen guten Grund, erst mit einer bestimmten geistigen Reife und einem bestimmten Vorwissen am Steuer sitzen zu dürfen, wobei über allem das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme steht. Ein Auto schaffen sich zwar längst nicht mehr alle an, die Sinnhaftigkeit des Führerscheinerwerbs mit seiner gründlichen Einweisung auch und gerade zum Thema Rücksicht wird aber wohl kaum jemand bestreiten. Warum sollten sich diese Prinzipien nicht auf die digitale Welt anwenden lassen?
Aber auch hier gilt es nicht stehenzubleiben. Wer nicht auf eine leistungsfähige digitale Infrastruktur zurückgreifen kann, hat auch einen ihrer wohl wichtigsten Vorzüge noch nicht kennengelernt, ihre mögliche Schubwirkung für eine demokratische Meinungsbildung, dies freilich verbunden etwa mit zeitgemäßer medialer Bildung.
Wer Zugriff auf digitale Strukturen hat, vernetzt sich nämlich, betrachtet die Dinge nicht mehr als Einbahnstraße, spürt zukunftsträchtige Lösungen auf. Allerdings: Ohne entsprechende Gegenwehr sind fragwürdigen Nutzungen Tür und Tor geöffnet.
Leider haben das in unseren Tagen
zuerst die Rechtspopulisten erkannt. Was kein neues Phänomen ist: Mussolini machte die Faschisten im Italien Anfang des 20. Jahrhunderts auch groß durch mediale Omnipräsenz, und die Nationalsozialisten taten es ihnen später im Deutschen Reich nach. Es wäre wichtig, dies nicht als Methode einstiger Diktatoren abzutun sondern die zugrundeliegenden Prinzipien im Gestern und Heute zu analysieren und daraus praktische Konsequenzen zu ziehen. Es reicht einfach nicht, nur die Sprache etwa eines Björn Höcke auf nationalsozialistisch geprägtes Gedankengut hin zu untersuchen. Die viel größere Bedrohung der Demokratie, vielmehr: der zukunftsfähigen politischen Stabilität, steckt beispielsweise in den kleinen wie großen rechtspopulistischen Medienimperien, die immer mehr werden, oder in den immer vielfältigeren Möglichkeiten zum Schwurbeln und zum Vernetzen.
Es ist noch nicht zu spät, dem etwas entgegenzusetzen. Dafür müsste man sich der digitalen Welt jedoch anders als rein technisch nähern. Das wiederum funktioniert nur, wenn eine Infrastruktur vorhanden ist, in der sich alle digital bewähren können. Und genau darin liegt eine, wenn auch oft nicht explizit benannte, Herausforderung unseres Jahrhunderts für die Demokratie. In Berlin und anderswo täten sie gut daran, den aktuellen Höhenflug der Rechtspopulisten auch auf dieser Ebene unter die Lupe zu nehmen.
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