Ein russisch-ukrainisches Duo geht in die Öffentlichkeit. Schon das ist seit dem 24. Februar 2022 ein starkes Zeichen.
Zudem erzählen die beiden Schriftstellerinnen Elena Malisowa und Katerina Silwanowa in "Du und ich und der Sommer" höchst eindringlich von einer Liebe zwischen zwei Heranwachsenden, die nicht sein darf. Nicht zu der Zeit, wo sie beginnt. Und auch nicht zu der Zeit, wo sie wiedererwacht. Und schon gar nicht am Ort, wo sie beiden widerfährt.
Elena Malisowa wurde 1988 in einer sowjetischen Provinzstadt geboren. 2016 lernte sie Katerina Silwanowa kennen, und die beiden beschlossen, gemeinsam ein Buch zu schreiben.
Noch unter dem Titel "Sommer im roten Halstuch" verkaufte sich der Roman im Jahre 2022 mit mehr als 300.000 Exemplaren und rangierte ganz oben auf der russischen Bestsellerliste. Inzwischen wurde das Buch als "LGBT-Propaganda" eingestuft und verboten. Die Autorinnen mussten das Land verlassen. Malisowa lebt heute in Rostock, Silwanowa ist in die Ukraine zurückgekehrt.
Der Rahmen der Handlung ist rasch abgesteckt: Mitte der achtziger Jahre verbringt der 16-jährige, als aufsässig geltende Jura einige Wochen in einem Sommerlager in Charkiw. Dort lernt er Wolodja kennen. Der 19-jährige, vordergründig stets linientreue Student fungiert als Gruppenleiter. Jura soll ihn bei der Vorbereitung einer Theateraufführung unterstützen. Die Teenager verlieben sich ineinander, zu Sowjetzeiten wie im heutigen Russland eine verbotene Angelegenheit. Nach dem Sommer trennen sich die Wege der beiden. Erst 20 Jahre später sehen sie sich wieder.
Zunächst wissen wir nicht mehr, als dass Jura jemanden sucht. Er nennt ihn den einzigen Freund, den er je hatte. Als er einst dem Mann begegnete, dessen Name mit einem (Jura an ein Herz erinnerndes) W beginnt, löste das bei ihm Freuden und Qualen aus, die weit mehr waren als pubertär bedingte heftige Gefühlsausschläge.
Denn Jura ist zunächst nichts als verwirrt von der besonderen Anziehung, die ein gewisser Wolodja auf ihn ausübt. Der erscheint ihm lange Wochen vor allem auf ganz eigenartige Weise schön.
Wolodja wiederum weiß schon, dass Frauen ihm fremd sind und auch bleiben werden. Als "Krankheit", die weniger zu heilen, vielmehr zu bekämpfen gelte, deutet er das. Im Sommerlager wie in all den darauffolgenden Jahren.
Wir lesen vor allem von inneren Kämpfen der beiden Protagonisten. Wir erfahren von Anfeindungen und Drohungen, denen sie trotz aller Vorsicht ausgesetzt sind. Wir sind konfrontiert mit dem Selbsthass, den Wolodja verspürt. Und wir sehen, wie es immer wieder Sache ausgerechnet des Außenseiters Jura ist, die Normalität der beiden Teenager zu definieren.
All das sind Prozesse und Erlebnisse, die Malisowa und Silwanowa detailiert, doch niemals aufdringlich ausloten. Keine der mehr als 500 Seiten, auf denen sich die Beziehung zwischen Jura und Wolodja entfaltet, ist verschenkt. Vor allem Jura braucht schlichtweg einen langen Atem, um zu sich zu finden. Bezeichnenderweise nimmt die Schilderung seiner einzigen Liebesnacht mit Wolodja nur wenig Raum ein. Umso deutlicher wird, welche Leidenschaft sich in diesen paar Stunden Bahn bricht.
Der Roman erscheint am 28. Februar 2024, die beiden Autorinnen sind am 21. und 22. März 2024 während der Leipziger Buchmessse zu erleben.
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Malisowa, Elena/Silwanowa, Katerina, Du und ich und der Sommer. Roman, 512 Seiten, Paperback, Verlag Blanvalet, ISBN 978-3-7645-0869-2.
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